Mittwoch, 28. April 2021

Der Weg nach Vettseiffen

 Adam Hülseweh: Das Vexyr von Vettseiffen



Etwas länger als ein Jahr ist es her, ganz genau zu Beginn des ersten Lockdown war es, da brachte mich Tobias Reckermann netterweise bei Jörg Kleudgen für einen Lovecraft-Titel ins Gespräch. Oder empfahl mich, so ist es vielleicht besser ausgedrückt. Tobias ist Schriftsteller, kluger Kopf und treibende Kraft hinter Whitetrain/Nighttrain, wo ich im Laufe der letzten Jahre immer mal wieder Geschichten veröffentlichen durfte. Jörg ist Schriftsteller, Betreiber der Goblin-Press, Sänger der Band „The House of Usher“, hingebungsvoller Förderer des literarischen Nachwuchses in düsteren Erzählwelten und Herausgeber der Reihe „Lovecrafts Schriften des Grauens“ im Blitz-Verlag. Unter anderem, natürlich. Der Mann ist nämlich ein Phänomen, schafft ein unglaubliches Pensum, ist superkreativ, nimmt sich trotz aller Widrigkeiten Zeit, weiß stets guten Rat und es ist überhaupt eine Freude, mit ihm zu arbeiten.

Nun wusste ich zwar, weil ich einige Titel der Reihe kannte, dass es in „Lovecrafts Schriften“ nicht um Reproduktions- bzw. Imitationsversuche geht, sondern die Romane eher unter „durch Lovecraft inspiriert/beeinflusst“ laufen, was ja durchaus ein breites Feld öffnet. Dennoch habe ich zuvor gründlich überlegt, ob ich mir zutraue, einen unterhaltsamen und unheimlichen Text zu schreiben, der, erkennbar und im richtigen Maß, der Erwartungshaltung von Stammlesern gerecht zu werden, vom kosmischen Horror Lovecrafts durchatmet wird.



Auch Porzellan hat ihn drauf, den kosmischen Horror, Illustration von Jörg Kleudgen


Doch die Bedenken hielten nicht lange an. Es entstand rasch eine Grundidee – ein gottverlassenes Dorf in der Eifel Mitte der Sechzigerjahre, ein Groschenheftverlag mit Lochkartenproblemen und ein leidenschaftsloser junger Mann namens Hans Scheibler, der diese beheben soll – und ich hatte wirklich Lust, das alles umzusetzen. Und somit habe ich mich auf den Weg nach Vettseiffen gemacht. Ob mir unterwegs gelungen ist, was ich mir vorgenommen habe? Entscheidet selbst!


Vexier, Vexyr, Vexüüür, was ist das überhaupt? Geheimnis! Illustration von Jörg Kleudgen



 "Das Vexier von Vettseiffen" bestellen? Auf zum Blitz-Verlag

Mehr von Tobias Reckermann? Tobias bei Whitetrain

Zu Reckermanns "Gotheim an der Ur" Gotheim im Blitz-Verlag

Jörg Kleudgen, Herausgeber der Reihe Lovecrafts Schriften des Grauens 

zur Band "The House of Usher" Hier entlang














Freitag, 23. April 2021

Welttag des Buches

 Mit dem Bücherbus zur Freiheit




Ich war als Kind – wie das vorliegende Foto richtigerweise vermuten lässt – eine echte Leseratte. Nun kann ich mich leider nicht mehr erinnern, welches das erste Buch war, das ich allein von vorn bis hinten gelesen habe und dessen Wörter und Sätze sich in meinem Kopf tatsächlich zu einer Geschichte zusammenfügten. Schade. Aber ich weiß noch, wie irre stolz ich war, als ich die letzte Seite umgeblättert habe und am hinteren Buchdeckel rauskam. Und daran, dass ich Blut geleckt hatte und mehr wollte.

In meiner Kindheit gab es noch keinen sorgfältig von Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln o.ä. vorkuratierten Lesekanon. Was mich an Büchern erreichte, glich daher zunächst eher völlig willkürlichem Treibgut, da es sich allein danach richtete, was zufällig von Älteren geerbt oder zum Geburtstag oder Weihnachten geschenkt wurde. So war es, bis zum ersten Mal der einmal wöchentlich haltmachende Büchereibus pneumatisch zischend seine Tür für mich öffnete. Darin gab es – Ihr kennt das ja selbst oder könnt es Euch denken – besonderes Licht, besonderen Geruch und besondere Regale mit besonderen Büchern. Und ohne es richtig zu bemerken, entdeckte ich die Freiheit, mir meine Lektüre selbst aussuchen zu können, auch wenn das zunächst aus dem schmalen Angebot altersgemäßer Bücher noch keine so große Sache gewesen sein kann. Dennoch wurde dadurch Lesen zu etwas Persönlicherem als zuvor und führte zu Ausflügen und Fluchten im Kopf, die selbstbestimmt waren. Eine sehr wichtige Sache, finde ich.

Als ich auf die weiterführende Schule kam, gab es direkt daneben eine Stadtteilbibliothek, diesmal nicht auf Rädern, sondern in einem richtigen Gebäude. Es dauerte nicht lange (ich tippe rückblickend auf das siebte Schuljahr), da gab es die durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitete Kunde, dass man aus der Abteilung für Erwachsene, wenn man sich geschickt anstellte, 1A Horror-Bücher von Stephen King ausleihen konnte. Und das ging so: Zuerst musste sichergestellt sein, dass eine bestimmte Mitarbeiterin Aufsicht hatte, die es nicht ganz so genau nahm. Man durfte nämlich erst, ich weiß nicht mehr ab welchem Alter, vermutlich 14 oder 15, in den Erwachsenenbereich. Deshalb galt es, forsch und selbstbewusst statt nach rechts zu den Kinder- und Jugendbüchern nach links abzubiegen und, als hätte man nie etwas anderes getan, die verbotenen Früchte aus dem Regal zu holen und damit lässig zum Ausleihschalter zu gehen. Dort musste man im Falle einer Nachfrage das umgerechnete Geburtsjahr parat haben und auf das Beste hoffen. Das war ungefähr so, wie es sich später anfühlte, sich mit einem geborgten Personalausweis in einen Club zu schleichen. Adrenalin pur. Obwohl meine Eltern eher streng waren und beispielsweise die Bravo bei uns zuhause verboten war, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, zu kontrollieren, was wir für Bücher ausliehen. Was für ein Glück!

Welttag des Buches – yeah! Ich feiere euch, Bibliotheken, Bücherbusse und Beide-Augen-Zudrücker*innen. Auf die Freiheit, die Vielfalt und den Thrill!