Freitag, 23. April 2021

Welttag des Buches

 Mit dem Bücherbus zur Freiheit




Ich war als Kind – wie das vorliegende Foto richtigerweise vermuten lässt – eine echte Leseratte. Nun kann ich mich leider nicht mehr erinnern, welches das erste Buch war, das ich allein von vorn bis hinten gelesen habe und dessen Wörter und Sätze sich in meinem Kopf tatsächlich zu einer Geschichte zusammenfügten. Schade. Aber ich weiß noch, wie irre stolz ich war, als ich die letzte Seite umgeblättert habe und am hinteren Buchdeckel rauskam. Und daran, dass ich Blut geleckt hatte und mehr wollte.

In meiner Kindheit gab es noch keinen sorgfältig von Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln o.ä. vorkuratierten Lesekanon. Was mich an Büchern erreichte, glich daher zunächst eher völlig willkürlichem Treibgut, da es sich allein danach richtete, was zufällig von Älteren geerbt oder zum Geburtstag oder Weihnachten geschenkt wurde. So war es, bis zum ersten Mal der einmal wöchentlich haltmachende Büchereibus pneumatisch zischend seine Tür für mich öffnete. Darin gab es – Ihr kennt das ja selbst oder könnt es Euch denken – besonderes Licht, besonderen Geruch und besondere Regale mit besonderen Büchern. Und ohne es richtig zu bemerken, entdeckte ich die Freiheit, mir meine Lektüre selbst aussuchen zu können, auch wenn das zunächst aus dem schmalen Angebot altersgemäßer Bücher noch keine so große Sache gewesen sein kann. Dennoch wurde dadurch Lesen zu etwas Persönlicherem als zuvor und führte zu Ausflügen und Fluchten im Kopf, die selbstbestimmt waren. Eine sehr wichtige Sache, finde ich.

Als ich auf die weiterführende Schule kam, gab es direkt daneben eine Stadtteilbibliothek, diesmal nicht auf Rädern, sondern in einem richtigen Gebäude. Es dauerte nicht lange (ich tippe rückblickend auf das siebte Schuljahr), da gab es die durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitete Kunde, dass man aus der Abteilung für Erwachsene, wenn man sich geschickt anstellte, 1A Horror-Bücher von Stephen King ausleihen konnte. Und das ging so: Zuerst musste sichergestellt sein, dass eine bestimmte Mitarbeiterin Aufsicht hatte, die es nicht ganz so genau nahm. Man durfte nämlich erst, ich weiß nicht mehr ab welchem Alter, vermutlich 14 oder 15, in den Erwachsenenbereich. Deshalb galt es, forsch und selbstbewusst statt nach rechts zu den Kinder- und Jugendbüchern nach links abzubiegen und, als hätte man nie etwas anderes getan, die verbotenen Früchte aus dem Regal zu holen und damit lässig zum Ausleihschalter zu gehen. Dort musste man im Falle einer Nachfrage das umgerechnete Geburtsjahr parat haben und auf das Beste hoffen. Das war ungefähr so, wie es sich später anfühlte, sich mit einem geborgten Personalausweis in einen Club zu schleichen. Adrenalin pur. Obwohl meine Eltern eher streng waren und beispielsweise die Bravo bei uns zuhause verboten war, wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, zu kontrollieren, was wir für Bücher ausliehen. Was für ein Glück!

Welttag des Buches – yeah! Ich feiere euch, Bibliotheken, Bücherbusse und Beide-Augen-Zudrücker*innen. Auf die Freiheit, die Vielfalt und den Thrill!


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