Samstag, 12. Dezember 2020

Noch eine Stunde länger und ich fang an, mich selbst zu siezen

 

Illustration von Daniel Bechthold aus "KLUNGA und die Ghule von Köln"


Gelegentlich wird man als Autor*in mit der Aufgabe betraut, einen kurzen Informationstext über sich zu verfassen, der dann später im Register eines Kurzgeschichtenbandes, oberhalb des Klappentextes eines Romans oder auf einer Website zu stehen kommt. Und je länger da über Formulierungen gebrütet und über sich selbst in der dritten Person geschrieben wird, desto fremder wird man sich, finde ich. Und versucht lockerfluffig gegen die Sinnfrage anzuschreiben: Wen zum Teufel soll das eigentlich interessieren? Und: Benötigen denn ausgerechnet Autor*innen von ausgedachten Geschichten irgendein Image? Wozu? Machen Alter, Geschlecht und biografische Daten und flotte/markige/supercoole/extrasensitive Sprüche jemanden geeigneter oder verzichtbarer beim Interesse an einer Geschichte oder der Kaufentscheidung?

Doch bevor ich marktschreierisch in ein flammendes Plädoyer für „Reading without Prejudice“ ausbreche, will ich mich an die eigene Nase fassen:

Warum scannt mein Katastrophentouristen-Reptiliengehirn beim Lesen von Nachrichten nach biografischen Daten eines Täters und/oder Opfers? Geschlecht, Alter, Beruf, Wohnort (und in den vergangenen Jahren leider auch zum scheinbar unverzichtbaren Bestandteil medialer Berichterstattung geworden: Herkunft und Religionszugehörigkeit). Um mein Leben und mich in Relation zu setzen zu etwas, mit dem ich gar nicht in Verbindung stehe? Und wieso ist es eigentlich interessant für mich, ob etwa ein*e Autor*in Dinge aus erster Hand/Erfahrung weiß oder „lediglich“ gut recherchiert hat?

Die sehr interessante (und oft gestellte, ich weiß) Frage ist: Welche Bewertungen würden wir rauslassen, wenn über den/die Verfasser*in eines Buchs absolut nichts bekannt wäre? Fände ich schön. Aber ich fürchte, daraus wird nichts. Deshalb hab ich ja auch eine Info zu mir geschrieben. In der dritten Person. Ansonsten möchte ich lieber beim ich bleiben. Ihr und ich. Ich und Du. Denn wenn ich auch nur noch eine Stunde länger hier dran hocke, fange ich an, mich selbst zu siezen. Oder mir ausgedachte Adelstitel zu verpassen. Oder eine absurde Erwerbsbiografie.

Mein Vater hat sich früher (wir hatten bis in die 90er Jahre ein schwarzes Bakelit-Post-Telefon mit Wählscheibe, also selbst als es Rufnummernübertragung gab, kamen wir nicht in den Genuss davon) manchmal folgendermaßen gemeldet: „Firma Not und Elend in Köln, was kann ich für Sie tun?“

Ich glaube, das sollte ich ab jetzt auch häufiger mal machen, wenn ich eine Nummer nicht kenne. Und dann rede ich mit dem Anrufer über mich in der dritten Person. Im Plural.


Offizielle Ina-Info


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